Mercury Falling

Jan
17
1997
Mannheim, DE
Rosengarten Mozartsaalwith Soraya
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Schöngeist mit Muskeln - Sting gastierte im Mannheimer Rosengarten...

Kündigt sich ein Mega-Star wie Sting an, dann ist natürlich das Haus gerammelt voll, der Mozartsaal im Mannheimer Rosengarten ist ausverkauft, denn der frühere Police-Frontmann ist einer der wenigen Pop-Rock-Künstler, die sich bei Presse und Publikum gleichermaßen hoher Gunst erfreuen. Bevor jedoch Sting die Baß-Gitarre schwingt und seine originelle Gesangskunst ertönen läßt, darf erst einaml eine andere, eine durch und durch wunderschöne, hierzulande aber noch unbekannte Stimme die Gäste erfreuen.

Soraya heißt die junge, hübsche Kolumbianerin, die für ihre Lieder in amerikanisch angehauchter Singer/Songwriter-Tradition viel Erfolg in der Heimait und viel Lob anderenorts ernten konnte. Mit der ersten internationalen Album-Veröffentlichung ''On Nights Like This'' im Gepäck und einer routinierten Begleitband im Rücken harmonisch anschmiegsamer Songs, die gelegentlich erkennen lassen, daß eine Joni Mitchell und eine Ricky Lee Jones die Südamerikanerin musikalisch geprägt haben. Indes, Lieder wie ''Sweet Love'' oder ''Suddenly'' sind manchmal eine Spur zu schön und zu süß, etwas mehr Biß könnte da nicht schaden.

Sting wiederum hat sich ein wenig Altermilde angeeignet, darüber kann auch das schwarze Muscle-Shirt nicht hinwegtäuschen, das sich über seinen durchtrainierten Oberkörper spannt. Der 45-jährige Engländer (bürgerlich Gordon Matthew Sumner) hatte schon vor der Trennung der Gruppe Police mit Solo-Unternehmungen auf sich
aufmerksam gemacht und die Hit-Serie, die das Trio seit Ende der Siebziger nicht mehr verlassen wollte, mit seinen eigenen Produktionen konsequent fortgeführt. Auch als Filmschauspieler in ''Der Wüstenplanet'' oder der Frankenstein-Adaption ''Die Braut'' verdiente er sich Meriten; er interpretierte Brecht/Weill-Songs aus der ''Dreigroschenoper'', sang ein Duett mit Pavarotti und erwarb sich einen guten Ruf als politisch engagierter Künstler und intellektueller Schöngeist - eine Ausnahmeerscheinung in der Pop-Branche, manchen gilt er gar als ''Lichtgestalt''.

Allein, ungeachtet der hohen Qualität seiner Kompositionen, die sich nicht auf simple und gängige Rock-Schemata verlassen, sondern kunstvolle, jazzige Arrangements vorweisen; trotzt der exzellenten Musikalität seiner fünfköpfigen Begleitband (inklusive Saxophon und Posaune) und obwohl das Konzert geschmackvoll wie nur möglich von einer ausgeklügelten Light-Show begleitet wird - es bleiben dennoch ein paar Wermutstropfefn.

Zu bemängeln ist einerseits die nicht gerade überwältigende Akustik, man hat im Mozartsaal schon einen besseren Sound hingekriegt. Auch das Repertoire, das sein jüngstes Album Mercury Falling vorstellt, zeigt ein Phänomen auf, gegen das sogar ein Sting nicht gefeit ist: Es sind die alten Police-Nummern wie Every Breath You Take oder Roxanne, bei denen das Publikum vergleichsweise tobt, nachdem es zuvor viel und artig, aber mit Zurückhaltung applaudiert hat. Und der Star selbst, dessen Stimme schon mal mehr Kraft hatte, agiert nicht so überwältigend, wie es sein könnte; es mangelt während des gesamten Auftritts etwas an Schwung und Spontaneität.

(c) Mannheimer Morgen by Mike Seifert



Der Grübler als Kraftpaket - So gut wie vielleicht nie zuvor: Der englische Popmusiker Sting macht auf seiner Tournee Station im Mannheimer Rosengarten.

Sting hat es diesmal eilig. Mit ausholenden Schritten und großer Geste stürmt er auf die Bühne, stürzt sich ohne viel Atemholen in eine Folge von zwanzig Songs aus beinahe zwei Jahrzehnten. Der Mann mit der grüblerischen Neigung zu verhangener Melodik und geistvoll-düsteren Versen hat sich den Schädel fast kahl scheren lassen, schiebt seine muskulösen Arme aus einem schwarzen Hemdchen und hat den klobigen E-Bass am Körper kleben wie ein Hardrocker. Der durchtrainierte Popstar sprüht vor Kraft und Vitalität, seine Show ist laut und bunt und so gut wie vielleicht nie zuvor. Als wolle er den alten, melancholietrüben Sting zitieren, lehnt er sich einmal an den Lautsprecherturm am Bühnenrand, stützt das Kinn versonnen auf die Hand und blickt stumm in die Schwärze des proppenvollen Saales. Aber da reißen ihn die ersten Töne des 'Englishman in New York' aus seinem kleinen Traum, und er tänzelt zurück ans Mikrophon, ins Zentrum der schon weiterjagenden, perfekt gefügten Show.

Auf seiner aktuellen Tournee, die ihren Auftakt im neuen Jahr im Mannheimer Rosengarten nahm, läßt sich der englische Musiker wieder von seinen langjährigen Mitstreitern Dominic Miller (Gitarre), Kenny Kirkland (Keyboards) und Vinnie Colaiuta (Schlagzeug) begleiten, hat dieses minimalistische Rockquartett aber mit zwei Blechbläsern aufgerüstet. Conrad Thomas (Saxophone) und Clark Gayton (Posaune) sorgen dabei nicht nur für satten Sound und groovende Treibsätze, sondern bringen mit ihrer Bühnenshow das dezent simmernde Sting-Gebräu immer wieder zum Überkochen. Im Blues-Brothers-Stil schwingen die beiden farbigen Musiker taktgenau ihre Instrumente, hetzen aus dem Bühnenhintergrund an die Rampe, eilen mit Storchenschritten von einer Seite zur anderen. Der betagte Police-Hit Roxanne wird durch ein hitziges Posaunensolo in ein dampfendes Jazzstück verwandelt, und der erwähnte Englishman muß eine rotzige Rap-Einlage über sich ergehen lassen.

Sting ließ sich von solch ungestümer Lebensfreude anstecken und akzeptierte nicht nur den Anschlag auf diesen Song, dessen ein wenig weihevoller Text immerhin von der Identitätskrise des modernen Menschen handelt. Prächtig gelaunt radebrechte er auf Deutsch und zerrte eigenhändig ein sangesfreudiges Paar auf die Bühne, die eine Nummer lang den Begleitchor geben durfte - mit ordentlichem Ergebnis übrigens. Die Grenze zum bloßen Klamauk wurde bei all dem nicht überschritten, die professionelle Perfektion der Darbietung kleidete sich lediglich etwas legerer, als man es sonst von dem dandyhaften Eigenbrötler mit dem Intellektuellen-Image gewöhnt ist.

Schwerpunkt in dem für die Tour ausgewählten Repertoire waren die Songs der letztjährigen CD 'Mercury Falling', eine gegenüber den beiden Vorgängern ohnehin heiter-helle Produktion, die die Nähe zum Gefälligen meidet, indem stilistische Wechsel und überraschende Klangeinfälle ein hohes Maß an künstlerischer Komplexität schaffen.

Sieben Songs der neuen Platte waren in Mannheim zu hören, dazwischen, dramaturgisch geschickt gereiht, Stücke der übrigen Sting-CDs und ein paar alte Police-Kracher.

Weitaus weniger als bei früheren Konzerten mußten diesmal aber 'Roxanne', 'Every Breath You Take' oder 'Synchronicity' als Stimmungsmacher herhalten. Das Intensitätslevel hatte ohnehin einen hohen Ausschlag, und so konnten sich Sting und Kollegen sogar erlauben, diese in mittlerem Tempo ungestüm treibende Pop-Ikonen rhythmisch ein wenig zu variieren oder durch ein paar jazzige Soli in erstaumlich neue Umlaufbahnen zu lenken.

Trotz gelegentlicher Spotlights auf seine Kollegen war Sting der immerwährende Mittelpunkt des Geschehens, sang mit angerauhter Stimme, einer weißen Soulstimme, der man jedes Klagelied und jeden Liebesschmerz bedenkenlos glaubt.

Dazu walkte er seine vier Bass-Saiten, trug jeden der Songs auf diesem Fundament wie auf einem leichthin jonglierten Tablett. Zur akustischen Gitarre griff Sting ganz am Ende, als letzte Zugabe spielte er 'Fragile' von seiner zweiten Studioplatte der Nach-Police-Ära, eine sanfte Hymne über die Zerbrechlichkeit alles Menschlichen und eines der schönsten Plädoyers gegen die Sinnlosikeit jeglicher Gewalt in unserer blutigen Welt.

(c) Unknown newspaper
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