Heilig Liebe, gepflegte Triebe - Ein gereifter Sting in der Stuttgarter Schleyerhalle...
Nebenan im Daimler-Stadion, beim Heimspiel des VfB, war es kurz zuvor noch ein einziges Toben gewesen, ein gleichgeschaltetes Wogen der Emotionen, das über die dampfende Stadionschüssel ungebremst nach außen geschwappt ist. Jubel, Trubel, Heiserkeit. In der Schleyerhalle hingegen geht es vergleichsweise gesittet und gepflegt zu. Da ist kaum einer unter dreißig Jahre alt, da scheint bis auf wenige Ausnahmen das reservierte Gefallen an dem Gebotenen zu dominieren, das zurückhaltende Genießen, die kultivierte Aufmerksamkeit. Ob es wirklich ein Rockkonzert ist, das hier stattfindet? Die Meinungen über Sting sind geteilt. Auf jeden Fall scheint er, der jüngst 53 Jahre alt geworden ist, sein Publikum zum Zuhören erzogen zu haben - was ja kein Fehler ist. Nein, keine billigen Feuerwerkseffekte gibt es da, es lenken keine aufreizenden Tanzeinlagen oder aufwendigen Lichteffekte ab, und es kommen auch keine billigen Sprüche von der Bühne. Die universelle Liebe ist als Motto des Abends ausgegeben: 'Sacred Love'. So heißt das aktuelle Album des britischen Musikers.
So heißt die Tournee. Kein abgehobener Dienst am rein Geistigen soll damit gemeint sein, auch keine bigotte Erweckung platonischer Liebe hat unser intelligenter Edelmann im Sinn. Richtig saftig deftig meint er's. Auch Sex sei etwas Heiliges, so betont er jetzt bei jeder Gelegenheit. Aber hallo.
''There's no religion but sex and music'', so raunt er leicht rauchig in das ovale Rund der 8500 Besucher. Sapperlot. Und unlängst hat er seine Ehefrau gar verbreiten lassen, dass er selbst am liebsten Swinger-Clubs in Deutschland besuche.
Donnerwetter. Das hätten wir diesem anständigen Manne und sechsfachen Familienvater, der sich ansonsten so unerschrocken für den Regenwald und die Menschenrechte einsetzt, nicht zugetraut. Aber vielleicht war das alles gar nicht so ernst gemeint, vielleicht nimmt er sich auch selbst nicht so ernst, wie immer alle meinen. Vielleicht ist alles nur Showgeschäft.
Da steht er nun auf der Bühne, in seinem maßgeschneiderten Anzug, und zelebriert seine unverwechselbare Sting-Stimme. Der ''Ausnahmemusiker'', wie es in der Radiowerbung so schön geheißen hat. Ob er überhaupt weiß, wo er gerade ist? Seit Januar ist Sting überall auf der Welt unterwegs mit seiner geheiligten Liebestour. Da gleicht eine Bühne der nächsten, da werden überall Hände geschüttelt, da werden immer dieselben Huldigungen entgegengenommen, da wird jeder Abend gleich. Dass er, so wie alle anderen im Popzirkus, jetzt ganz speziell die Stuttgarter begrüßt, das unterlässt er. Er spielt ja für Leute, die sich so etwas denken können. ''Wie geht's, geht's gut?'', das ist alles, was er nach den ersten drei Songs spendiert. Auch sonst gibt er sich, was die Ansagen betrifft, recht einsilbig. Es zählt jetzt nur die Musik. Damit ist alles gesagt und alles gespielt.
'Send me your Love', der Eröffnungssong, ist mit einer billigen Synthesizersequenz nach Art der siebziger Jahre unterlegt und erinnert ein bisschen an Donna Summers damaligen Discohit ''I feel Love''. Ja klar, Gordon Matthew Sumner, der ehemalige Lehrer, geruht als Sting es neuerdings ein bisschen frivol zu meinen. Zu ''Sacred Love'' räkelt sich eine Striptease-Schöne auf dem dreigeteilten Bühnenbildschirm, der ansonsten meist fallende Blätter und Regentropfen gezeigt hat.
Die entscheidenden Kleidungsstücke legt sie dann aber doch nicht ab, was zwar moralisch korrekt, aber auch ein bisschen blutleer wirkt.
Keineswegs blutleer ist der Groove, den die siebenköpfige Band und ihr Vorsteher dazu abkochen. Es dominiert zwar das souveräne, in allen Stilen bewanderte und mit rhythmischen Raffinessen gespickte Musizieren. Doch schön dosiert lässt sich diese hochklassige Kapelle auch mal gehen: Wenn sich zum Beispiel der Titel 'I Was Brought To My Senses' steigert und der Keyboarder Jason Rebello in ein sehr starkes Pianosolo hineinsteuert, das Sting mit einer fulminanten Basslinie kontert. Dann scheint der Augenblick und nicht nur die inszenierte Show Spaß zu machen. Spätestens dann fällt auf, dass dieser Sting auch ein fähiger Bassist ist, was eigentlich schon die Police-Zeiten vor mehr als zwanzig Jahren gezeigt haben.
Der Polizisten-Oldie 'Every Little Thing She Does Is Magic' knattert denn auch unbefangen über die Bühne, wozu sich alle immer schon gewundert haben, wie er das macht: singen und unabhängig davon gegenläufige Basslinien spielen. Und dann, das muss einfach sein, 'Roxanne', wozu dieses wählerische und gemütsgebildete Publikum ausgesprochen mitgeht, ja, wozu es sogar mitsingt: ''I joh joh joh, I joh joh joh''. Musikalisch ist das nicht unbedingt der Höhepunkt des Abends, aber für die reifere Generation immerhin ein rührendes Erlebnis. Auch die zerbrechlich melodiöse Ballade 'Fragile', zu der er selbst in die Saiten greift, bereitet mit ihrer ganz anderen Stimmung allüberall eine feuerzeugilluminierte Wiederhörensfreude.
Überhaupt, es geht musikalisch sehr abwechslungsreich zu, obwohl die folkloristisch-weltmusikalischen Untertöne, die Sting ansonsten so gerne einstreut, weitgehend fehlen. Bei 'Desert Rose', in dessen Video dieser globalisierungskritische Kämpfer für die Entrechteten zusammen mit dem algerischen Rai-Sänger Cheb Mami so werbewirksam in einer englischen Edelkarosse durch die Wüste gefahren ist, versucht er sich nun selbst im Beduinengesang: der einzige Fehltritt des Abends. Unerwartet frisch dagegen der Song 'Englishman in New York', der seine Botschaft zu den synthetischen Streicher-Pizzicati sehr rhythmisch unter die Leute bringt: ''Be yourself, no Matter what they say''. In diesen Zeiten ein gut gemeinter Rat. Ob Sting selbst immer zu sich gestanden hat? Eine zu fromme Frage. 'Every Breath You Take' als Pflichtzugabe jedenfalls geht noch einmal gut ins Ohr.
(c) Stuttgarter Zeitung by Ulrich Bauer Ein Mann
Der Popstar hat den Vortritt: Routinierte Darbietung: Sting war zu Gast in der Schleyerhalle...
''Be yourself, no matter what they say'' - ein großes Wort. Den, der es öffentlich postuliert, gilt es daran zu messen: Ist Sting alias Gordon Sumner, früher Vorsteher von The Police und seit 20 Jahren Weltstar auf Solopfaden, er selbst geblieben?
In der Schleyerhalle präsentiert sich der 53-Jährige strahlend: Athletisch, alterslos, elegant bietet er ein Potpourri seiner Hits. Mit makelloser Stimme, virtuosem Bassspiel und einer exzellenten Band im Rücken spielt er Police-Klassiker wie 'Synchronicity II' und 'Roxanne' inklusive Mitsingteil, Gassenhauer wie 'Everything She Does Is Magic', Romanzen wie 'Fields Of Gold' und das melancholische 'Fragile', seine Kontemplation über menschliche Zerbrechlichkeit.
Die meisten Arrangements weichen erfrischend von den Studiofassungen ab, auch bei Songs des aktuellen Albums 'Sacred Love'. Bei 'Inside' etwa sind die Instrumente fein orchestriert, ist der Part der beiden Chordamen perfekt gesetzt, und über allem schwebt die Stimme des Schlangenbeschwörers, der diesen Einklang herstellt.Vertikal fahrbare Monitore im Bühnenhintergrund zeigen zur jeweiligen Stimmungslage passende Motive, und alle Akteure bekommen Gelegenheit, sich zu beweisen. Der Gitarrist etwa nutzt seine Freiheiten weidlich und setzt mit warmem Sound eigene Akzente.
Dass trotzdem nicht alles eitel Sonnenschein ist im Hause Sumner, liegt daran, dass ein entscheidender Faktor fehlt: die Leidenschaft. Routiniert, nahezu perfekt ist die Darbietung, aber sie erinnert stellenweise an den feinen Unterschied zwischen Frische und Kühlregal. So stellt sich bei aller Klasse irgendwann eine gewisse Monotonie ein.
Vor allem tritt offen zu Tage, welchen Balanceakt das Chamäleon Sting bisweilen vollführt, wie schwer der Kompromiss auszuhalten ist zwischen verträglichem Pop und dem großen Anspruch auf Jazz und Weltmusik. Spätestens bei 'Englishman In New York' wird das beharrliche Hämmern der beiden Schmiede an Schlagzeug und Percussion, allzu oft unisono am Werk, zur böswilligen Störung: Sie hauen jede Atmosphäre gnadenlos kurz und klein; dagegen wirkt der Pianist beim Solo unendlich einsam, seine freie Jazz-Improvisation wie ein viel zu kleines Feigenblatt für die übermotorisierte Stumpfheit - zwei unversöhnliche Polla Stampa.
(c) Stuttgarter Nachrichten by Bernd Haasis
Ein Engländer im Nirwana...
Trotz vieler Table-Dance-Shows auf Videomonitoren bleibt Gentleman-Rockstar Sting bei seinem Auftritt in der Stuttgarter Schleyerhalle reserviert.
Ein tiefes Grollen aus der Bühnengegend, elektronische Schalmeien in orientalisch-ekstatischer Verzückung, Lichtgewitter. Plötzlich steht er da. Im schwarzen Zwirn mit weißem Hemdkragen, das streng zurückgekämmte Haar auf Oscar Wilde-Länge. Unendlich ''open-minded'' und doch unglaublich reserviert: der Englishman in Stuttgart. 8500 Zuschauer hatte Sting, der britische Gentleman-Rockstar und ehemalige Police-Frontmann, mit bürgerlichem Namen Gordon Sumner, zum dritten Deutschlandkonzert auf seiner 'Sacred Love'-Tour in die Schleyerhalle gelockt. Und am Ende hat er sie auch begeistert. Aber so richtig überzeugend war das, was der jugendliche 53-Jährige als Querschnitt aus einem Vierteljahrhundert als Musiker präsentierte - darunter Titel seiner aktuellen CD, Solo-Hits von 'All This Time' bis 'Desert Rose' und Klassiker aus Police-Zeiten - nicht immer.
Gleich zu Beginn übertönen die Techno-Beats von Dave Audes 'Send Your Love' - Remix alles andere, was von der siebenköpfigen Band sonst noch zu hören gewesen wäre. Eine dunkelhäutige Schöne räkelt sich lasziv auf sieben Videomonitoren, während sich akustisch die düstere Anne Clark und der vergessene Rick Springfield zu begegnen scheinen. Und trotzdem ist 'Send Your Love' eine typische Nummer für den Künstler, dessen große Gabe, unterschiedlichste Musikstile poptauglich zu verbinden, immer auch den Fluch mit sich bringt, sich in überbordenden Arrangements zu verlieren. Als der Bassist und Gitarrist mit 'Synchronicity II' und einer zurückgenommeneren Instrumentierung jedoch weit in die guten alten Police-Zeiten zurückwandert, lässt er mit seinem unverwechselbaren, zwischen samtig und schneidend oszillierenden Organ den Sänger Sting in den Vordergrund treten. Zur Begeisterung des Publikums. Ein Phänomen, das sich den ganzen Abend über zeigen wird: Die alten Nummern enthüllen die Stimme, die neuen decken sie zu.
Das scheint auch Programm der Bühnenshow: Eine schwarze Sonne strahlt auf kitschige Landschaften mit Hula-Hoop-Girl beim ergreifenden 'Dead Man's Rope'. Zu 'Inside' klettern grüne Gespensterchen, die eher einem Akte-X-Trailer als einem Seelenleben entstiegen scheinen, über die Leinwände, während Altbewährtes wohltuend sparsam illustriert wird.
Doch die fünf Jahre mit Police liegen bereits 20 zurück. Dazwischen ist viel passiert - vom Tod seines Vaters, den er auf 'Ten Summoner's Tales' aufarbeitet, bis zum 11. September 2001, zu dem der politisch engagierte, stets nachdenkliche, zuweilen mahnende Künstler mit 'Sacred Love' seine persönliche Auseinandersetzung liefert. Der Wind hat sich gedreht und dreht sich laufend weiter.
Das zeigt nicht zuletzt die Zusammensetzung der Band, die dem Abend die Richtung gibt: Gitarre, E-Piano und Keyboards, ein imposantes Percussion-Sortiment und ein riesiges Drumset, flankiert von zwei Backgroundsängerinnen. Musikalisches Grenzgängertum war schon immer Stings Sache. Und zwar so sehr, dass ihn die Kritik vor Jahren zum ''König der Diebe'' krönte, weil er sich charmant und dreist an allen Stilen und Genres bediene. Für Sting selbst ist der Griff in die musikalische Krabbelkiste ein Mittel, Spannung zu erzeugen, aus der immer wieder Neues entstehen könne, wie er sagt.
Davon war in Stuttgart leider wenig zu spüren. Gut, da ist diese angenehme Zurückhaltung, britisches Understatement auch was Posen angeht, lediglich diese typischen kleinen Luftsprünge am Ende der Nummer. Da sind das leichtfüßig vor sich hin swingende 'Brand New Day', diese fast zur Jam-Session verjazzte Version von 'I Was Brought To My Senses', zu der Sting auch seinen Tour-Support, den US-Trompeter Chris Botti, nochmals auf die Bühne holt. Oder das große Duett mit einer der stimmgewaltigen Sängerinnen bei 'Whenever I Say Your Name', das er auf CD mit Mary J. Blige eingespielt hat. Alles Maßnahmen gegen die Sterilität von Konservenkost - und doch schwebt über allem ein kühler Hauch seelenloser Soul-Konfektionsware. Aus den Keyboards tropft 80er-Geblubber, der Percussionist scheint den Kosmos seiner Schlagwerke nicht erkunden zu wollen, das Piano untermalt mit biederem Altherrenjazz. Einzig Gitarrist Dominic Miller sorgt mit energiegeladenen Stromgitarreneinsätzen, etwa bei 'Shape of My Heart', für Spannung.
Leise Momente schafft Sting mit den 'Fields of Gold' und ihrer reduzierten Gitarrenbegleitung oder dem wahrlich zarten 'Fragile'. Feuerzeuge glimmen im Publikum, das leise mitsummt, ''how fragile we are'', während im Hintergrund weiße Bomben auf orangeroten Feldern detonieren. Doch kaum dort angekommen, wo fantasievolles Stückwerk Auseinandersetzung zeitigen könnte, beenden eine Table-Dance-Show auf den Monitoren und orientalische Sounds, die in einen stromlinienförmigen Blues münden, die Lichterketten-Besinnlichkeit mit Erinnerungen an den ''Neuneinhalb Wochen''-Soundtrack: So ähnlich kommt 'Sacred Love', der Titelsong der aktuellen Sting-CD, Joe Cockers 'You Can Leave Your Hat On'.
Da können die sterilisierten Reggaebeats zu 'Englishman in New York' auch nichts mehr wettmachen, obwohl alle ''no matter what they say'' singen. In diesen Arrangements geht der Zauber von Stings Musik völlig verloren. Nur ab und an, eben bei den tausendfach gehörten Hits von damals, beginnt es zu funkeln: 'Every Little Thing She Does Is Magic' versetzt mit seinen Spannungsbögen und ohne überflüssigen Schnickschnack sogar Nichttänzer in Schwingungen und verleitet alle zum ausgelassenen ''Iiii-o-o''-Singen. 'Every Breath You Take' kullert einem in flottem Tempo wie eine frisch entstaubte Perle in die Gehörgänge und bringt auch die letzte Publikumsreihe zum Wogen. Und Sting singt in Großaufnahme von den Leinwänden. Endlich statt Abziehbildchen das Medium, mit dem in diesem Konzert die Emotionen stehen und fallen.
Wie um das zu unterstreichen, beschließt der Sänger sein Konzert mit dem Police-Superhit 'Roxanne', die den Sex zuguterletzt von den Leinwänden doch noch in die Musik holt. Die bombastische Endlos-Version mit jeder Menge Hall und Echos gerät zum furiosen Höhepunkt. Sting dehnt den Song ins Unendliche, findet aber immer wieder zurück zur Ursprungsidee. Der Song entwickelt eine Energie, die förmlich zu greifen ist. Die anschließenden Zugaben 'Desert Rose', 'If I Ever Lose My Faith In You') lassen ahnen, was aus dem Abend hätte werden können, hätte Sting sich von Anfang an auf seine Qualitäten besonnen: seine Stimme und schlichte Arrangements. Aber alles ist relativ, das sagt ja auch die Formel der Relativitätstheorie, ''E=mcï'', die kurz eingeblendet wird. Und vielleicht nimmt Sting nach dieser Tour ein Freund zur Seite und sagt ihm, was einer der Zuschauer beim Verlassen der Halle meinte: ''Ich hätte gern mehr Stimme - und die CDs sind pointierter''. Recht hat er.
(c) Eßlinger Zeitung by Inge Bäuerle