Rückblick ohne Ausblick...
Auf dem Gelände der ausverkauften Eisbahn Dolder beglückte Sting seine Fans mit vielen Klassikern. Neue Songs hingegen blieb er ihnen schuldig.
Unscheinbar erschien Sting an diesem prächtigen Sommerabend auf der Bühne, als sei er nur ein Mitglied seiner Band, der Bassist. Und das war wohl Programm - die derzeitige Tour läuft nämlich seit 2011 unter dem Motto "Back To Bass". Nach den Auftritten mit einem Sinfonieorchester wollte Sting seine Songs entschlackt präsentieren - mit einer fünfköpfigen Band, wie nun am Freitagabend in Zürich.
Sehnig interpretierten die Musiker schon den ersten Song, "If I Ever Lose My Faith In You". Sting spielte markant, ohne sich musikalisch in den Vordergrund zu drängen. Und doch übte der 61-jährige Engländer seine Funktion als Bandleader souverän aus, liess sein Charisma wirken und blieb dabei sympathisch bescheiden. Mit "Gruezi mitenand" begrüsste er sein Publikum und verbeugte sich, als dieses applaudierte. Im Verlauf des nicht ganz zweistündigen Konzertes witzelte er noch einige Male über seine Schweizerdeutsch-Kenntnisse und machte zudem immer wieder Anmerkungen zu den gespielten Songs.
Mit dem Police-Gassenhauer "Every Little Thing She Does Is Magic" brachte die Band die Besucher dazu, sich zu erheben. Bei "Englishman In New York" wippten die meisten vergnügt zum unwiderstehlichen Reggae-Groove, den die bestens aufeinander eingespielten Musiker perfekt auf den Punkt brachten. "Sit down and relax!", erklärte Sting daraufhin lächelnd, es werde ja noch ein langer Abend werden. Einer auch mit nachdenklichen Passagen: "All This Time" stammt vom Album "The Soul Cages" (1991), zu dem ihn der Tod seines Vaters inspiriert hatte; damals kam er dazu, sich künstlerisch mit seiner Herkunft auseinanderzusetzen.
Dieser Song wäre der perfekte Anknüpfungspunkt für das Repertoire des neuen Albums "The Last Ship" gewesen, das im September erscheinen soll; Sting präsentiert darin erstmals seit "Sacred Love" (2003) neue Songs. Die Stücke entstanden aus der Arbeit an seinem gleichnamigen Broadway-Musical heraus, das den Niedergang der Schiffbauindustrie in seiner Heimatstadt Newcastle thematisiert. Letztlich aber soll sich "The Last Ship" um Stings eigene Kindheit drehen. Diese Songs aber gab Sting in Zürich noch nicht zum Besten.
Umso mehr erfreute man sich an der grossartigen Band, die mit ihrer hohen Musikalität dafür sorgte, dass nicht nur nostalgische Bedürfnisse bedient wurden. Der Schlagzeuger Vinnie Colaiuta etwa brachte polyrhythmische Spannung in den Song "Seven Days". Der Gitarrist Dominic Miller, der seit 1991 eng mit Sting zusammenarbeitet, spielte einmal mit punkigem Drive wie im Police-Song "Driven To Tears", dann wiederum akustisch zart wie in "Shape Of My Heart" oder klangmalerisch wie in "The Hounds Of Winter". Der Keyboarder David Sancious fiel selten auf, verlieh aber selbst banal scheinenden Songs wie "De Do Do Do, De Da Da Da" mit improvisierten Einlagen ein jazziges Flair. Ungewohnt waren die Einsätze des Geigers Peter Tickell, der oft jenen Part spielte, den früher Saxofonisten übernommen hatten.
Das Publikum kam auf seine Kosten, es wurden viele alte Hits geboten; fast die Hälfte der Stücke stammte aus Stings Zeit bei The Police und sind über dreissig Jahre alt. Mit "Fragile" klang der Abend dann nachdenklich aus: Man darf gespannt sein auf das neue Album.
(c) Neue Zürcher Zeitung by Markus Ganz