Lebensfreude und Harmonie – so war das Konzert von Sting und Shaggy in Salem...
Sting und Shaggy werben bei ihrem gemeinsamen Auftritt im Schlossgarten von Salem mit Reggae und Gelassenheit für eine bessere Welt. SÜDKURIER-Redakteur Johannes Bruggaier war vor Ort und zeigt sich beeindruckt vom hohen musikalischen Niveau - und der entspannten Atmosphäre.
Sie haben schon eine Stunde lang gespielt, da erklärt Shaggy dem Publikum, was da eigentlich schon gar keiner Erklärung mehr bedarf: dass nämlich diese Musik sich an alle Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichster Religionen richte. Vor allem aber an alle, die für eine Welt kämpfen ohne Rassismus, Nationalismus, Sexismus. "Especially in this time“, sagt er - gerade in dieser Zeit.
Dass Sting mit Shaggy gemeinsame Sache macht – der 66 Jahre alte Vordenker der New-Wave-Bewegung mit dem 17 Jahre jüngeren Reggae-Pop-Sänger aus Jamaika -, das hat viel mit "gerade in dieser Zeit“ zu tun. Es herrscht eine Stimmung der allgemeinen Anspannung und Gereiztheit, eine Phase der kulturellen Grabenkämpfe und aggressiven Polemiken.
Sting hat es schon immer verstanden, auf solche gesellschaftlichen Strömungen zu reagieren, sie sogar vorauszuahnen. Ende der 1990er-Jahre überraschte er mit Anleihen bei arabischer Volksmusik, später prognostizierte er hellsichtig den Niedergang des Rock’n’Roll. Und heute? Hält er den aggressiven Tönen die Gelassenheit des Reggae entgegen: Entspannt euch, Leute!
An ihrer kosmopolitischen Gesinnung lassen Sting und Shaggy auf der Bühne im Salemer Schlossgarten zu keiner Zeit Zweifel aufkommen. Schon die Einstiegsnummer "Englishman In New York“ gerät zur Hymne auf den Schmelztiegel der Kulturen, wenn Shaggy es sich nicht nehmen lässt, den "Englishman“ durch "Jamaican“ zu ersetzen und dabei die Flagge seines Heimatlandes schwenkt. Mit "44/876“ folgt der Titelsong aus dem gemeinsam produzierten Album: eine aus den telefonischen Vorwahlnummern Großbritanniens und Jamaikas geknüpfte transatlantische Brücke.
Und mit rhetorischen Fragen wie "If you can’t find love – how are you going to find yourself?“ (Wenn du keine Liebe finden kannst, wie willst du dann dich selbst finden?) reden sie dem potenziellen Wutbürger im Publikum ins Gewissen. Begleitet von einer fünfköpfigen Band (inklusive Background-Duo) verbreiten Sting und Shaggy damit karibische Lebensfreude und Harmonie: All die hässlichen Themen des Alltags von Asylstreit über Özil-Rücktritt bis zu Trump-Chaos sind da ganz weit weg.
Dass diese Beruhigungspille wirkt, liegt auch am bemerkenswert hohen musikalischen Niveau. Sting groovt am Bass wie zu seinen besten Zeiten, die Band liefert ihm dazu ein funkelndes, pulsierendes Fundament, und Shaggy fügt sich mit seinem grummelnden Sprechgesang angenehm unaufdringlich ein. Dass Sting schon zu Zeiten mit seiner Band The Police immer wieder Elemente des Reggae in seine Songs einbaute, ist bekannt. Wie bruchlos aber die Transformation von Titeln wie "Love Is The Seventh Wave“ oder "Message In A Bottle“ zu wahren Bob-Marley-Gedächtnis-Nummern gelingt, überrascht dann doch. Es scheint manchmal gerade so, als liefere Shaggy das Schmieröl, mit dem sich manch eingerosteter Klassiker ("Set Them Free“) erst wieder richtig in Gang bringen lässt.
Und Shaggy selbst? Er muss damit leben, dass die allermeisten Besucher unzweifelhaft wegen Sting nach Salem gekommen sind. Zwar recken sich zu seinen Hits wie "Oh Carolina“ und "It Wasn’t Me“ brav die Arme empor. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sehnsucht nach "Fields Of Gold“ überwiegt. Dabei ist auch Shaggy Gold wert: als ständig herumhampelnder Gegenpol zum stoisch an Ort und Stelle verweilenden Sting – tanzend, redend, animierend. Der Brite Sting, dessen Auftritte gerade auch wegen seiner sparsamen Körpersprache mitunter etwas statisch anmuten, kann davon nur profitieren.
Und irgendwann bekommt sogar tatsächlich Bob Marley noch seinen imaginären Auftritt. Sein Hit "Get Up, Stand Up“ gerät auf der Bühne in Salem zum Appell ans Publikum. Shaggy schärft uns die Zeile "Don’t give up the fight“ so eindringlich ein, als sei im Anschluss eine Friedensdemo geplant. Doch es folgen nur etwas bemüht zusammengeschraubte Song-Collagen: Von "So Lonely“ geht es einmal zu "Strength Of A Woman“ und wieder zurück, anschließend versucht "Roxanne“ verzweifelt eine Symbiose mit "Boombastic“. Nicht immer wächst an diesem Abend zusammen, was zusammengehört.
Sei’s drum: Scheitern kann nur, wer was riskiert. Und das Wagnis der ungewöhnlichen Kooperation zwischen Sting und Shaggy hat sich in Salem über weite Strecken gelohnt. Für alle, die auch nach zwei Stunden noch nicht wissen, was sie von diesem Abend nach Hause mitnehmen sollen, hat Sting (nach der ersten Zugabe "Every Breath You Take“) mit "Fragile“ eine letzte Botschaft im Gepäck. "Lest we forget how fragile we are“, singt er: Wir alle sollten nie vergessen, wie zerbrechlich wir sind. Nehmen wir’s uns zu Herzen.
(c) Südkurier by Johannes Bruggaier