Sting strahlt in Berlin wie ein Yogalehrer...
Seit 25 Jahren ist Sting jetzt schon als Solokünstler unterwegs. In Berlin lädt er nicht in die Arena, sondern begnügt sich mit der kleinen Columbiahalle, spielt seine Songs, macht einfach Musik - ganz bescheiden.
Man muss nicht eitel und narzisstisch sein, um Popstar werden zu wollen. Man muss eitel und narzisstisch sein, um es ein Leben lang zu bleiben. Sting lädt diesmal nicht in die Arenen. In Berlin begnügt er sich mit der Columbiahalle: 3,500 Gäste, keine große Sache. '25 Years - Back To Bass' heißt das Programm. Ein Lichtkegel beleuchtet seinen Arbeitsplatz an diesem Abend. Bevor Sting erscheint, wird keinerlei Musik vom Band gespielt, man möge keine Lieder haben neben seinen. Dann geht er ans Werk, trägt seine Bassgitarre wie ein alter Waldarbeiter seine Säge, wie ein Körperteil. Darunter trägt der 60-jährige ein weißes T-Shirt: Es wird ein Konzert im Freundeskreis, nichts Festliches wie sonst. Das erste Stück heißt 'All This Time', ein randständiger Hit, aber danach ist auch ein altes Livealbum benannt, aufgenommen am 11. September 2001, dem schwarzen Dienstag, als Sting in Italien auf der Bühne Weltgeist spielte.
Heute stellt er erst einmal die kleine Band vor. Er verliert kein Wort darüber, dass in einer dunklen Nische der Columbiahalle Petitionen ausliegen gegen die Ölverschmutzung des Nildeltas. Sting macht einfach Musik. Seit 25 Jahren ist er unterwegs in eigener Sache. Nachdem The Police, die Jugendband, vorübergehend beerdigt war, spielte er Pop und Jazz und Welt- und Kunstmusik, alles auf einmal. Irgendwann begann er, sich vom Künstler in ein höheres Wesen zu verwandeln.
Daran ließ er alle teilhaben: Sting sprach von tagelangem Tantra-Sex. Oder über anthroposophischen Weinanbau in der Toskana. Er erzählte von Schamanen in Brasilien, die sich für den Schutz des Regenwalds durch Sting erkenntlich zeigten und ihn spirituell für alle Zeit erleuchteten. Nach ihm wurde ein seltener Frosch benannt, Dendropsophus stingi. Er entwuchs der Popkultur. ''Popmusik ist wie Babynahrung'', belehrte Sting den kleinen Mann, der seine Lieder mochte. ''Intervalle wie Terzen und Quinten mag jeder. Komplexere Intervalle, Sexten und Quarten, sind weniger beliebt. Die meisten Menschen mögen das nicht, weil es sie überfordert.'' Sting sang Lautenlieder, komponierte seine eigene Winterreise und stand zuletzt stolz vor einem Sinfonieorchester, das in den Arenen seine Songs zu Klassikern erklärte.
Vielleicht hat er in den Stadien zuletzt gestörte Schwingungen gespürt. Vielleicht ging Sting sich selber dabei auf die Nerven, Sting zu sein. In der Columbiahalle strahlt er wie ein Yogalehrer und spielt seinen altgedienten Bass. Ein Instrument mit ramponiertem Anstrich, das nicht nur zu klingen, sondern auch Geschichten und Geschichte zu erzählen hat. Von Sting, dem Alten Meister. Vor dem fünften Stück, vor 'Hung My Head', tauscht er die Bässe. Es gibt also einen zweiten Manufaktum-Bass, von der Historie oder vom Sandpapier gezeichnet wie der erste. Sting verrät seine Geheimnisse. Für seine deutschen Gäste hält er ausführliche deutsche Reden, die er sorgsam vorbereitet hat: ''In England wohn ich auf Land in einem kleinen Haus'', sagt er nach einer Stunde auf. ''Nein, ist nicht wahr, ich wohn in einem riesigen Schloss.'' Inmitten goldener Felder. Sting singt 'Fields Of Gold', und alle sehen ihm mit neu gewonnener Nachsicht dabei zu, wie er sich erdet, um wieder von aller Welt geliebt zu werden.
Man kann ein Tourneeprogramm für hundert Euro kaufen, einen Kunstband mit den Liedern seines Lebens auf CDs. Mit Fotos seiner Hände und mit Federzeichnungen, auf denen er sich selbst beim Musizieren in seinem Schloss skizziert hat. Ein Bild heißt ''Morning Conversation with Bach''. Das ist der Sting, wie man ihn kennt. Der Sting, wie er gesehen werden möchte, steht so demütig wie möglich auf der Bühne und trinkt Wasser aus dem Weizenbierglas. Er singt 'Every Breath You Take' und andere volkstümliche Hits im Jazzfolkrock. Am Ende spielt er 'Message In A Bottle', ganz allein auf einer winzigen Konzertgitarre. Und es ist egal, dass die kokette Botschaft lautet, dass er nur ein Mensch ist, eitel und narzisstisch. Für einen Berufspopstar ist Sting ein großartiger Musiker.
(c) Berliner Morgenpost by Michael Pilz