Englishman in Lingen - Tee? Sting trinkt lieber Kaffee!
Lingen - Es war das erste von drei Open-Air-Konzerten vor der Emslandarena. Weltstar Sting nahm am Mittwoch 12 000 Fans mit auf eine musikalische Zeitreise in die 70er, 80er und 90er Jahre. Mark Forster und Kontra K folgen. Von André Fischer
Die Bartstoppeln sprießen aus der braun gebrannten Gesichtshaut. Dunkle Jeans, ein enges T-Shirt, das den Blick auf muskulöse Oberarme freilegt. Kaum zu glauben, dass dieser durchtrainierte Kerl 67 ist. Ein Asket vor dem Herrn, der trotz der Falten, die sich um die Mundwinkel ziehen, längst nicht so alt aussieht, wie er ist.
Vielleicht sind es die sechs Kinder, Ehefrau Trudie Styler oder die Leidenschaft für Yoga und Meditation, die Gordon Matthew Thomas Sumner alias Sting jung halten. Vielleicht sind es die teils ebenfalls ergrauten aber vitalen Fans, die sich vor ihm und seinen Songs seit Jahrzehnten verneigen. Das verbindet.
Vielleicht ist es schlicht die pure Lust am Leben – denn dieser Mann hat einen Job, der ihm noch immer unverschämt viel Freude bereitet. Das sieht, spürt, hört man. Faszinierend, wie er am Mittwochabend bei molligen 27 Grad 12 000 Besucher auf dem Open-Air-Gelände vor der Emslandarena in Lingen mit auf eine Zeitreise in die 70er, 80er und 90er Jahre nimmt. "My songs" heißt das aktuelle Album mit den "Liedern seines Lebens", wie der Brite selbst sagt. Klassiker aus den Police-Tagen bis hin zu Ohrwürmern aus der Neuzeit in einem neuen Gewand. Weil Lieder wie Kinder seien, die sich entwickeln, erwachsen werden – und sich eben verändern, hat er in einem Interview mit Hit-Radio FFH verraten.
Den Opener macht "Message in a Bottle" aus dem Jahr 1979, in dem es um einen Menschen geht, der auf einer Insel gestrandet ist und eine Flaschenpost auf der Suche nach der großen Liebe absendet. Ein Song mit Signalwirkung, Menschen hüpfen, springen, klatschen, singen mit. Sting bewegt. Nach "If I Ever Lose My Faith in You", "Englishman in New York", "If You Love Somebody Set Them Free" und "Every Little Thing She Does Is Magic" wird es persönlich. "Guten Abend meine Damen und Herren, ich bin sehr erfreut heute hier zu sein", stammelt der Weltstar. Applaus.
Sting zieht durch, wandert zu Mundharmonika-Klängen durch goldene Felder ("Fields of Gold"), spaziert über den Mond ("Walking On The Moon"), huldigt so ganz nebenbei mit "Get Up, Stand Up" Reggae-Ikone Bob Marley. Und gibt zu, manchmal "So Lonely" zu sein. Ja, der Gute sucht ab und an denn doch die Einsamkeit – und weiß diese zu schätzen. Nach "Roxanne" nippt er an einer Tasse auf der Bühne. Ein Moment der Ruhe.
Ein Fingerzeig? "I don’t drink coffee, I take tea my dear"? singt er, als er im Video mit Regenschirm im Big Apple flaniert. Alles gelogen. "Der Song handelt nicht von mir", hat Sting einmal der "Berliner Zeitung" erzählt. "Ich singe über den homosexuellen englischen Schauspieler und Schriftsteller Quentin Crisp, der lange in New York lebte. Aber im Gegensatz zu ihm liebe ich Kaffee, vor allem Espresso." Wäre das (endlich) geklärt.
Nach gut zwei Stunden stimmt Gordon Matthew Thomas Sumner auf seiner Gitarre die letzte Zugabe an: "Fragile" – zerbrechlich. So wie die menschliche Seele. "Haltet zusammen" – das ist die Botschaft des Abends. Sting wirkt müde, geht. Mit 67. Die Scheinwerfer erlöschen. Am Freitag geht’s schon weiter. Dann kommt Mark Forster an die Ems. Samstag Rapper Kontra K. Volle Hütte.
(c) Westfälische Nachrichten